Rückblick: Reichsbürger*innentreffen in Weimar

04.10.25, Nachspeise: Kaiserschmarrn

Am 04.10. stand schließlich der nächste und letzte Akt eines langen und intensiven Demowochenendes an. Diesmal ging’s nach Weimar, um dort gegen einen bundesweiten Reichsbürger*innenaufmarsch zu protestieren.

Ähnlich wie tags zuvor bekam die Gersche Rechte auch diesmal keinen Bus zusammen, weshalb sich 15 Reichsbürger*innen im gleichen Zug wie wir einfanden. Es handelte sich diesmal um Anhänger*innen der Reuß’schen jüngeren Linie, die vor allem wegen des umstürzler-“Prinzen“ Heinrich überregional Bekanntheit erlangt haben dürfte. Jungfaschos und andere prominente Gersche Rechte blieben der Anreise fern.
Reuß jüngere und ältere Linie sollten dennoch zusammen mit den Preußen die größte Abordnung auf dem Reichsbürger*innentreffen bilden.

Ankunft der „Reußen“ in Weimar

An diesem war auch diesmal auffällig, wie bewusst familienfreundlich sich die Faschos zu inszenieren versuchten. In Zeiten, in denen die gesellschaftliche Stimmung komplett kippt, wird diese Strategie offensichtlich in dem Vertrauen gewählt, endgültig gesellschaftlich akzeptiert zu werden, während der Staat immer repressiver gegen emanzipatorische Bewegungen vorgeht. So nutzen dann auch die Reichsbürger*innen die Antifa-Ost beziehungsweise Budapest-Komplexe, um das Bild einer linksterroristischen Bewegung zu malen, während man selbst ja total friedlich und ungefährlich sei. Genau diese Strategie fährt auch Christian Klar in Gera, der die Polizei beinahe um Schutz vor den so gefährlichen Linken anfleht. Und nicht zufällig veranstaltet die rechte Szene immer mehr „Sommer-“ und „Familienfeste“ wie am 1.5. in Gera oder am 03.10. in Gestalt der AfD in Erfurt und Mödlareuth. Auch die Reichsbürger*innen schlugen wie bereits im Vorjahr in Gera mit Leinwand, Bierbänken und musikalischen Acts in diese Kerbe.

Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu den 90er Jahren, in denen offen mit Cops kooperierende und von diesen Schutz einfordernde Faschos wohl in kürzester Zeit aus der Szene getreten worden wären.

Die Inszenierung mit Leinwand etc setzte bewusst auf das Darbieten performativer Harmlosigkeit.

Für die linksradikale Bewegung stellt sich in Anbetracht dessen die Frage, welche Strategien und Taktiken im Umgang mit dieser sich selbst verharmlosenden und Anschluss an die „Mitte“ findenden extremen Rechten angemessen sind – ein Kriechgang-Wettbewerb vor den Bullen, wie es bürgerliche Kräfte schon seit Längerem versuchen, dürfte keine größeren Erfolgsaussichten haben.

In dieser neurechten Taktik liegen aber auch Sollbruchstellen und damit Interventionschancen, weil die dauernde Selbstverharmlosung die eher aktionsorientierten Jungfaschos auf lange Sicht abstoßen und damit zu neuen Rekrutierungsproblemen führen könnte. Es ist kein Zufall, dass Parteien wie Heimat und III. Weg nur sehr begrenzt Profit aus dem Rechtsruck unter Jugendlichen schlagen konnten, was die Gewinnung neuer Mitglieder*innen angeht.

Die Reichsbürger*innen setzten voll auf diese Karte, bedankten sich bei Stadt und Polizei für die „gute Zusammenarbeit“ und betonten immer wieder, doch bloß für „Friede, Freiheit und Souveränität“ zu sein und dass sie sich von Rassismus distanzieren würden.

Zog deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich als ein paar hundert Rechte: Der Gegenprotest.

Diese Distanzierung funktioniert freilich nur über die Brücke des Ethnopluralismus und dem Zusatz, dass alle Völker bitte da zu bleiben hätten, „wo sie hingehören“ und ist damit selbst zutiefst rassistisch.

Ähnlich bescheiden sieht es bei der vorgeblichen Distanzierung vom Dritten Reich aus, das als genozidiales System bezeichnet wurde, während von den kolonialen Verbrechen des Deutschen Reiches einfach geschwiegen wurde. Auch die „Gäste“ aus Mosambik wurden folgerichtig als Token missbraucht, um darzustellen, dass man ja gar nicht rassistisch sein könne, wenn auch nicht-weiße Personen mitlaufen.

Dass diese ganzen Distanzierungen und Behauptungen nur zur Aufrechterhaltung einer billigen Fassade dienen, wurde schon auf der Auftaktkundgebung offenbar. Auf dieser musste extra darauf hingewiesen werden, dass alle ihre Nebenmenschen im Auge behalten sollten, welche Gesten sie mit ihren Armen zeigen und sie im Zweifel davon abhalten. Wer entsprechende Gesten zeige, würde von der Demo ausgeschlossen werden und müsse mit einer Anzeige rechnen.

Reuß jüngere Linie
Und Reuß ältere Linie in Begleitung von Sebastian Weber (AfD) aka Weichreite TV

Wenig überraschend wurden später aus dem Aufmarsch heraus einige Hitler- und Wolfsgrüße gezeigt, die weder die Teilnehmenden noch die Ordner*innen oder gar die Polizei großartig interessierten und insofern toleriert wurden. Letztere waren ohnehin viel zu beschäftigt damit, den Gegenprotest zu filmen und Menschen anschließend in Maßnahmen zu nehmen.

Wenn Antifaschist*innen in Maßnahmen stecken,…
…kann so ein „Versehen“ schnell mal übersehen werden.
Oder so eins. Schade aber auch!

Selbst eine kleine Gruppe als Clowns verkleideter Menschen, die mit ihrer Performance als Hofnarren die Lächerlichkeit des Reichsbürger*innentreffens zur Schau stellten, riefen sofort die BFE auf den Plan, die sich mit Quarzhandschuhen und Kamera ausrüsteten und eine 1:1-Betreuung organisierten. Dieses martialische Auftreten im Kontrast zu den bunten Clowns lieferte zumindest schöne Symbolbilder davon, wer von diesem Staat als potentielles Problem ausgemacht wird und wer nicht – auch wenn sich die BFE bei den Clowns darauf beschränkte, diese zu einer Stelle auf der anderen Straßenseite zu leiten.

Wortspiele erübrigen sich.
Ein Sinnbild dessen, was in den Augen der Polizei die eigentliche Gefahr darstellt – bei den Fürst*innen gibt’s wenigstens was zu erben!

Ansonsten verlief der Aufmarsch recht zügig und ereignislos; an jedem der angemeldeten Infopoints gab es ein gellendes Pfeifkonzert und so war für die Faschos zumindest an ungestörtes Laufen nicht zu denken.

Interessant war allerdings die Situation auf dem Markt, auf dem ganz normal Markttag war. So zogen die Faschos um die Marktstände herum und zwischen diesen sammelten sich die Antifaschist*innen, getrennt wurde beides nur durch eine äußerst löchrige Bullenkette. Ein kurzes Antesten, wie nahe mensch an die Reichsbürger*innen gelassen wurde, resultierte dennoch direkt in einer kleinen Schubserei mit und Gewaltandrohung von den Bullen, woraufhin entschieden wurde, dass dieser lächerliche Haufen Rechter es an diesem Tag nicht Wert war, neue Antirepressionskämpfe aufzunehmen.

Nach dem Durchzug der Faschos ging es wieder zurück zur Gegenkundgebung, die von zwei-drei Gruppen Jungfaschos ausgecheckt wurde – aber auch die schienen eher unmotiviert. Durch einen alsbald einsetzenden Platzregen löste sich die Kundgebung ohnehin recht schnell auf, während die Faschos im Regen stehengelassen wurden.

Fazit: Zahlen, bitte

Über das ganze Wochenende gab es in Thüringen rechte Veranstaltungen an insgesamt fünf Orten (Erfurt, Mödlareuth, Altenburg, Weimar und Apolda) mit insgesamt circa 2.100 Teilnehmenden. Deutlich wurde dabei eine offensichtliche Verschiebung der Taktik hin zu Selbstverharmlosung und Anbiederung an die „Mitte“, während hinter der Fassade Hitlergrüße gezeigt und Waffen in Vorbereitung auf eventuelle Konfrontationen deponiert werden.

Alle rechten Demonstrationen sollten erkennbar den Charakter eines Familienfestes haben oder wurden sogar direkt als solches beworben – der Querdenken-Kongress in Apolda stand zudem unter den Schlagwörtern „konsensieren“ und „Demokratie“.
Das harmlose Auftreten sollte dabei nicht über fortlaufende Radikalisierungsprozesse und zunehmend selbstbewusstes Auftreten der Szene hinwegtäuschen – gerade Altenburg wurde sich über Tage hinweg förmlich angeeignet. Zudem zeigt das Wochenende, zu was die Szene mittlerweile fähig ist, was das Organisationspotential angeht. Dass die rechten Veranstaltungen nicht zentral koordiniert wurden, sondern sich förmlich organisch so ergeben haben zeigt, wie aktiv gerade gehandelt werden kann. Gleichzeitig zeugt es von einem Selbstverständnis, auf ein breites, koordiniertes Handeln nicht (mehr) angewiesen zu sein, um dennoch erfolgreich mobilisieren zu können. Das Wochenende dokumentiert damit eine gewisse Handlungsfähigkeit der extremen Rechten in Thüringen.

Dennoch müssen die Zahlen eingeordnet werden: Angemeldet waren insgesamt mehr als doppelt so viele Teilnehmende – allein in Erfurt meldete die AfD 2.000 an, während gerade einmal 300 auftauchten. Es gibt also gleichzeitig eine größer werdende Zahl aktiver Personen in der Szene, während die Mobilisierungsfähigkeit weiterhin stark überschätzt wird. Die Teilnehmendenzahlen dürften für die Faschos eher unter den Erwartungen geblieben sein.

Aber auch die solidarischen Kräfte haben gezeigt, dass auf die zunehmende Normalisierung rechter Raumnahme reagiert werden kann, wie das sowohl geographisch als auch zivilgesellschaftlich breit aufgestellte Bündnis „Thüringen stellt sich quer“ zeigt. So fanden an ebenfalls fünf Orten solidarische Veranstaltungen statt (Erfurt, Gera, Altenburg, Mödlareuth und Weimar), während der Querdenken-Kongress kritisch begleitet wurde – dazu aber an anderer Stelle mehr.

Es hat sich dabei gezeigt, dass Thüringen weiterhin über eine aktive antifaschistische Zivilgesellschaft verfügt; 2.600 Teilnehmende sind in Anbetracht der teils kurzfristigen Mobilisierungen nicht zu verachten.

Hieran gilt es anzuknüpfen und neue Bündnisse zu schmieden, in denen aber auch die Frage zu stellen ist, ob es ausreicht, immer nur in einer reagierenden Rolle zu stecken. Zudem braucht es dringend eine Debatte darüber, welche Aktionsformen in Anbetracht der Lage möglich und nötig sind.

Es reicht in unseren Augen nämlich natürlich nicht aus, einfach nur Gegenproteste anzumelden, sich zehn Minuten Faschos anzugucken und wieder nach Hause zu fahren – weder wird damit die rechte Raumnahme effektiv bekämpft, noch lassen sich damit Selbstwirksamkeitserfahrungen machen.
Als Linke müssen wir dringend wieder in eine agierende Position kommen.

Reorganisiert die Antifaschistische Aktion!

Wenigstens eins wurde gebührend gekrönt. So witzig solche Bilder auch sein mögen, bleibt dennoch die Frage, wie nachhaltig solch ein Protest sein kann.