Täter(*innen)schutz in Gera

Der folgende Text thematisiert sexuelle/ sexualisierte Gewalt, Täter(*innen) und Täter(*innen)schutz

Auch in sich selbst als links verstehenden Kreisen gibt es immer wieder Berichte von Übergriffen sowie von sexueller und sexualisierter Gewalt. Viel zu oft werden diese aber nicht ernst genommen.

Gera bildet hier keine Ausnahme. Statt Betroffenen zuzuhören, werden die Vorwürfe heruntergespielt oder Täter*innen ganz direkt geschützt; Konsequenzen gibt es für sie keine.

Über einen langen Zeitraum fanden hierzu Gespräche statt, die aber keinerlei Effekt hatten. Mehr noch wurden wir belächelt dafür, dass wir „jede Woche wen neues“ aus unseren Strukturen ausschließen würden – zynischerweise auch von Personen, gegen die es selbst Vorwürfe gibt.

Und auch wir als Gruppe sind Teil des Problems, indem wir viel zu lange versucht haben, einen Zustand „friedlicher Koexistenz“ mit Gruppen zu erreichen, von denen wir wussten, dass ihr Umgang mit diesem Thema nicht tragbar ist. Wir waren inkonsequent und standen mit ihnen schließlich doch immer wieder in Kontakt, zuletzt im Rahmen unserer Demo am 1. Mai. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Aufarbeitung ist ein stetiger Prozess und dieser Outcall ist ein Teil davon – nicht das Ende.

Fest steht, dass das Schweigen Teil der patriarchalen Gewalt ist, weil es in der Konsequenz die Täter(*innen) schützt; wir haben lang genug öffentlich geschwiegen.

Für die Zukunft schließen wir jede Zusammenarbeit mit dem Aktionsbündnis „Gera gegen Rechts“ aus, solange sich an ihrem Umgang mit sexueller und sexualisierter sowie weiteren schwerwiegenden Formen von patriachaler Gewalt weiterhin nichts ändert. Wir fordern, dass den Betroffenen zugehört wird, Täter*innen konsequent aus den Strukturen ausgeschlossen werden und ein Aufarbeitungsprozess begonnen wird. Ihr wisst sehr genau, um welche Vorwürfe und um welche Personen es geht.

Da in Gera Menschen oft in verschiedenen Gruppen und Organisationen tätig sind, betrifft dieses Problem nicht nur das Aktionsbündnis.

Wer Betroffenen nicht zuhört, wer die Unschuldsvermutung als Vorwand benutzt, untätig zu bleiben und wer Räume schafft, in denen Täter(*innen) frei agieren können, während Betroffene sich aus diesen Räumen zurückziehen (müssen), ist nicht Teil unseres Kampfes, sondern stützt ein System, das diese Gewalt wieder und wieder produziert.

Wir möchten insbesondere die von Gewalt betroffenen Personen um Verzeihung bitten, dass wir so lange geschwiegen haben.

Stellungnahme zu den Vorfällen im Umfeld der Demo „Mach frei am 1. Mai“ in Gera

Am 01. Mai 2025 fand in Gera die antifaschistische Demonstration „Mach frei am 1. Mai“ statt, die mit bis zu 1000 Antifaschist*innen ein deutliches Zeichen gegen den parallel stattfindenden Nazi-Aufmarsch setzte. 

Wieviel Gewaltpotenzial für die rechte Versammlung zu erwarten war, wurde bereits im Vorfeld deutlich: der Anmelder Christian Klar forderte dazu auf, Springerstiefel und Quarzhandschuhe zu Hause zu lassen. Sein Versuch der Selbstverharmlosung ging zumindest bei Versammlungsbehörde und Polizei auf.

Über den Tag kam es zu mehreren bedrohlichen Situationen durch organisierte Neonazis, aber auch AfD-Anhänger. Anreisende Antifaschist*innen wurden bereits (bei der Anreise) auf den Bahnhöfen von pöbelnden Nazis erwartet; die Polizei fokussierte sich auf selektive Vorkontrollen der Antifaschist*innen. 

Aus dem rechten Aufmarsch lösten sich immer wieder Gruppen von bis zu 30 gewaltbereiten Neonazis; teils patrouillierten sie unbegleitet durch die Stadt, teils versuchten sie in kleineren Gruppen auf die antifaschistische Demonstration und Kundgebung zu gelangen. Dabei kam es mehrfach zu Bedrohungen und Beleidigungen von Antifaschist*innen sowie Passant*innen.
Den Nazi-Aufmarsch dokumentierende Journalist*innen berichteten von antisemitischen Beleidigungen, körperlichen Bedrohungen einschließlich Morddrohungen gegen sie auf der von Christian Klar angemeldeten rechten Versammlung. 

Von der Bühne konnte ungestört rassistische Hetze verbreitet werden; ein antisemitisches Transparent hing die gesamte rechte Versammlung über davor. Die Faschos trugen ihre nationalsozialistische Ideologie aber auch offen in Form von bekannten Codes und Symbolen zur Schau.  

Auch bei der Abreise der Antifaschist*innen warteten an Geras Bahnhöfen bzw. in den bereitstehenden Zügen bereits Faschisten. In mehreren Zügen kam es folglich zu äußerst bedrohlichen Situationen gegenüber rückreisenden Antifaschist*innen, aber auch anderen Passagieren – darunter Familien mit Kindern und Senior*innen. So kam es unter anderem zu „Sieg Heil“-Rufen und Hitlergrüßen durch militante Neonazis. Ebenfalls gibt es mehrere von rechter Gewalt betroffene Antifaschist*innen, die medizinisch versorgt werden mussten.  

Aufgrund der Erfahrungen mit der Thüringer Polizei, insbesondere durch den stundenlangen Kessel und die massive Repression im Nachgang des 1. Mai 2023 in Gera gibt es von den durch rechte Gewalt betroffenen Personen bisher weder Interesse, noch Bereitschaft oder gar Vertrauen, Anzeige zu erstatten.  

Dass die zuständige Landespolizeiinspektion Gera die Nazi-Versammlung als „sehr friedlich“ bewertet (vgl. Taz: Weniger extrem Rechte in Gera) verstärkt diese Erfahrung und ist aus antifaschistischer Perspektive nur als bewusste Verharmlosung rechter Gewalt erklärbar – oder als Ausdruck eines strukturellen Versagens im Umgang mit militanten Neonazis.

Während Antifaschist*innen kontrolliert, eingeschüchtert oder kriminalisiert werden, dürfen organisierte Rechte unbehelligt von der Polizei marschieren, bedrohen, hetzen und verletzen. 

Wer eine solche Versammlung als „sehr friedlich“ bezeichnet, ignoriert nicht nur die realen Gefahren für Betroffene rechter Gewalt, sondern trägt aktiv zur Normalisierung faschistischer Raumnahme bei. Diese systematische Verharmlosung ist uns u.a. bereits aus dem NSU-Komplex bekannt.

Wir wissen jedoch, wozu Nazis bereit sind und dass solche rechten Events einerseits der Vernetzung militanter Neonazis, andererseits aber auch der Finanzierung der rechten Szene sowie deren rechtsterroristischen Strukturen dienen – und welche Gefahr davon ausgeht.

Dies alles macht uns extrem wütend, bestätigt letztlich aber nur erneut, dass mensch sich beim Kampf gegen Nazis auf den Staat nicht verlassen kann.

Wir sind solidarisch mit den Betroffenen rechter Gewalt und danken allen Antifaschist*innen, die am 01. Mai in Gera, Suhl oder auch in anderen Städten auf den Straßen unterwegs waren. 


Her zu uns – den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!